Der Mensch ist ein Schöpferwesen. Er erschafft sich seine Welt, seinen Kosmos, sein Universum. Als grundlegendes Mittel dafür hat er einen freien Willen eingehaucht bekommen. Dieser freie Wille lässt ihm die Wahl, ob er als Schöpferwesen seine Welt im Einklang mit den anderen Welten erschafft und in der großen Harmonie mitzuschwingen vermag, oder ob er die universelle kosmische Fügung und ihre Prinzipien ignoriert und den Weg der Abspaltung und Trennung vorzieht. Den letzteren Weg nennt man den Weg der Unwissenheit und Ignoranz. Ein Großteil der Menschheit hat sich für ihn entschieden, was an den weltweiten Spannungen, dem Hass, den Lügen und an den vielfältigen Zerstörungen des Lebens sichtbar wird.
Der erste Weg hingegen ist der Weg der Selbsterkenntnis und der sich stets entwickelnden Selbstbewusstwerdung. Hier wird sich das Menschwesen zunehmend seines schöpferischen Wesens, seines Quellursprungs bewusst. Der Mensch empfindet sein ureigenes seelisches Potenzial, welches seine Individualität, seine Eigenart ausbildet. Gleichzeitig steigt in diesem Empfinden der Gewissheitsstrom der Allverbundenheit ins Bewusstsein, der Strom des Yoga oder der lichtvollen Liebe. Diese Erfahrung ist groß und einfach zugleich. Die Erfahrung der eigenen Seelengröße bildet auf natürliche Weise ein hohes Gespür der Achtsamkeit aus. Wer sich seiner großen Kraft bewusst ist, ist achtsam mit sich und den Geschöpfen des Kosmos. Ein Mensch, der sich seines schöpferischen Wesens bewusst ist, trägt für sich und sein Handeln vollumfänglich Verantwortung. Die Bewusstseinskraft der vollumfänglichen Verantwortung für das eigene Tun wird in den östlichen Weisheitslehren Karma genannt.
Karma ist eine selbstregulierende, balancierende Kraft, die alle Wesen mit freiem Willen in sich tragen. Karma ist ein Wort aus dem Sanskrit und bedeutet „Handlung“, „Tat“, „Wirkung“. Alle Wesen mit freiem Willen unterliegen diesem von einer übergeordneten, göttlichen Intelligenz geschaffenen und erhaltenen Kräfteprinzip, das uns stets das ernten lässt, was wir ausgesät haben. Wir tragen unser karmisches Potenzial in der Feuerflamme unseres Seelengewands von Inkarnation zu Inkarnation und bestimmen dadurch die Erlebniswelten, die uns in unseren Leben zur freudvollen oder schmerzhaften Erfahrung gereicht werden.
In vielen Teilen der Welt wurde das Wissen um die karmische Verantwortung verdrängt, da diese der Mord- und Eroberungslust von Völkern, Gruppen und Einzelpersonen kontraproduktiv erscheinen muss. Und mit dem Verdrängen dieser Verantwortung kommen auch die Ströme unserer Gewissensempfindungen mehr und mehr zum Erliegen. Jetzt ist der Weg frei, um töten, um vernichten zu können. Das Töten eines anderen Menschen, oder die Grundlage dafür zu bilden, ist der höchste Zustand der Unwissenheit des Menschen. Es ist der vollständige Verlust der Verbindung zu der einen Quelle – auch Gott oder Allah genannt –, der einen Quelle, aus der alles Leben strömt, und die das Nicht-Leben, den Tod, nicht kennt. Töten ist der vollständige Verlust der Religion, oder von lateinisch „religare“, der „Rückverbindung“, was das Wesen von Religion im Ursprung bedeutet.
Im Kontext beispielsweise der erschütternden Terroranschläge im November 2015 von Paris handelt es sich also mitnichten um religiös motivierte Taten. Eine religiös motivierte Handlung ist immer geleitet von Liebe, lichtvoller Hingabe und Dankbarkeit, und drückt sich in einem durchdrungenen, schöpferischen Dasein aus. Deswegen ist es nicht gut, dass die Mörder von Paris in vielen Medien als Islamisten bezeichnet werden und damit eine alte, gewachsene Tradition der Rückverbindung zur göttlichen Quelle – den Islam – diskreditieren. Es sind naive, unwissende Kerle, die sich von areligiösen, rein machtpolitischen Quellen verführen und fremdbestimmen lassen. Sie stehen auf Augenhöhe mit jenen Kampfdrohnenpiloten und anderen destruktiven Kräften des Westens, die wiederum durch ihr kriegerisches Handeln den Schmerz, den Hass und die Dunkelheit in unserer Welt schüren. Sie wissen allesamt nichts von Verantwortung, und dennoch werden sie die karmische Verantwortung für ihre Taten tragen müssen.
Unsere persönliche Reaktion auf die schrecklichen Ereignisse in Paris, ob wir unmittelbar oder mittelbar betroffen sind, entscheidet im Wesentlichen mit, inwieweit die karmische Spirale weiter genährt wird. Verspürt man Wut- und Rachegelüste? Oder stellen sich Angst oder andere paranoide Emotionen ein? Empfindet man Liebe und Mitgefühl mit den Opfern? Oder schwingt man gar mit den Tätern? Könnte man als Täter um Verzeihung bitten, oder als Opfer den Tätern vergeben?
Diesen Empfindungen wird man sich in Klarheit wohl nur in Stille, Zurückgezogenheit und Meditation nähern können. Ein hohes Maß an Achtsamkeit ist hier erforderlich. Ein jeder trägt die persönliche Verantwortung dafür, inwieweit die betroffen machenden karmischen Eindrücke der Geschehnisse, im Yoga auch Samskaras genannt, in unser karmisches Seelengebilde eingepflanzt werden und dort ihre jeweilige Wirkung persönlich und im Kollektiv zur Entfaltung bringen.
Hierzu hat uns der Christus eine seiner großen Weisheiten hinterlassen, indem er sagte: „Und führe uns nicht in Versuchung …“. Gemeint ist, nicht der karmischen Versuchung zu erliegen und auf das „karmische Angebot“ durch neue Handlungen zu reagieren, es weiter zu befeuern und zu nähren, sondern es durch Liebe und mitfühlenden Gleichmut zu heilen.