Der durchschnittliche Mensch kennt die Welt nur als Bewegung. Stille ist ihm fremd. Die Vorstellung, dass die gewohnten Bewegungen zum Stillstand kommen könnten, erfüllt ihn mit Schrecken. Deshalb müssen Bewegung erzeugende Kraftwerke, Maschinen und Motoren um jeden Preis am Laufen gehalten werden. Wer den Film Snowpiercer kennt, weiß, dass die Maschine (ein Zug) nie anhalten darf. Sonst droht der winterliche Tod durch Erfrieren in einer lebensfeindlichen Welt aus Eiskristallen. Dies ist eine Metapher für den mit seinem Verstandes-Ich identifizierten Menschen, der ausschließlich den Bewegungen seiner Gedanken (Vrtti), den Projektionen und Sinneseindrücken vertraut. In der Bildersprache des Films sind diese als Zugwaggons, in denen sich die Dramen des Lebens abspielen, wie Perlen einer Kette in einer schier endlosen Abfolge aneinandergereiht. Kommen diese Bewegungen zum Stillstand, bedeutet dies für das Verstandes-Ich den unweigerlichen Tod. Dem Verstand ist es unmöglich, in das Reich der Stille einzutreten, ohne an der Schwelle dahin vernichtet zu werden.
Im „realen Film“, den unser Zeitgeschehen gegenwärtig produziert, geraten die Bewegungen des Zugs jedoch ins Stocken. Lieferketten sind plötzlich unterbrochen, gewohnte Waggons abgekoppelt, entgleist, manche Strecken gar stillgelegt oder unpassierbar. Der Treibsoff für die „ewige Maschine“ wird knapp. Kraftwerke und Motoren könnten bald ins Stottern geraten. Die Angst vor dem Stillstand und der winterlichen, eisigen Kristallwelt geht um. Unser Verstand, selbst eine bewegende Kraft, ist so sehr an das Prinzip Bewegung gekettet, dass er sich ein plötzliches Anhalten nicht auszudenken vermag, weil er darin seinen Untergang besiegelt wähnt – ähnlich einem Menschen, der in den Tiefen des Meeres ertrinkt, da er unter Wasser nicht atmen kann.
Der gewohnte titanische Welten-Motor bietet dem Verstand vermeintlich Sicherheit und Halt. Doch können Bewegung und Halt jemals zusammenfinden? Oder offenbart sich nicht vielmehr im „An-halt-en“ der Bewegungen der einzige und wahre „Halt“, der Halt, der aus der Stille kommt. Diese Stille (Mauna) trägt die ganze Welt.
Bewegungen können schnell zu schwindelerregenden Ausmaßen heranwachsen und Schwindelgefühle hervorbringen. Dies geschieht immer dann, wenn wir uns mit den Bewegungen identifizieren und uns durch zentrifugale Kräfte aus der Verankerung unseres inneren Stillewesens (Atman), unserer wahren Identität, reißen lassen. Dies ist der Eintritt in eine ruhelose Schwindelexistenz falscher Identitäten, die den Prozess des Schwindelns unaufhaltsam verstärken. Ohne in der Wirklichkeit des Selbst verankert zu sein, „erschwindeln“ wir uns unsere eigene Realität, also das, was unserem Ich-Verstand im Bewegungswahn vorteilhaft erscheint, vermeintliche Haltegriffe bietet und das Überleben sichern soll. Die Weisen (Rshis) Indiens haben dies bereits vor unendlichen Zeiten erforscht und dieses Prinzip als Maya bezeichnet.
Im Lateinischen wird der „Beweger“ motor genannt. Im Französischen ist uns das daraus stammende mot überliefert, das auf Deutsch „Wort“ bedeutet. Das Wort bzw. der Gedanke ist also die Bewegung verursachende Kraft, die unser Gemüt in „E-mot-ion“ versetzt. Die yogische Wissenschaft hat in tiefer Meditation Mittel und Wege erforscht, um diesen bewegenden Kräften, den „E-mot-ionen“, nicht auf den Leim zu gehen, sondern trotz ihres Vorhandenseins im stillen See unserer „See-le“ laut- und anhaftungslos gegründet zu sein.
Wenn also die gewohnten Bewegungsmuster unserer Welt urplötzlich ins Stottern geraten und dies uns ängstigt, so ist dies eine „geschickte“ Gelegenheit, die ewige Reise der meditativen Selbsterforschung nach innen anzutreten bzw. zu vertiefen.
Auf dieser Reise ist das feine Glockenläuten als „Bimmeln“ einer neuen Epoche des Bewusstseins laut und deutlich zu vernehmen von jenen, die Ohren haben, um der Stille zu lauschen. Es fordert uns auf, unsere gewohnten Bewegungsanhaftungen zu hinterfragen und vom hartnäckigen Festhalten an unserer von einem neurotischen Bewegungswahn gebildeten Glasglocke (Maya) loszulassen.
Der „Bammel“ vor dem Ausfall der „Maschine“ und der drohenden winterlichen Kälte ist eine Metapher für das zum Sterben angezählte und deshalb bibbernde „Ich“, das in die Stille der winterlichen Welt eintauchen muss, und in der Stille die Auslöschung, das Nirvana seiner Bewegungen erfährt. Die winterliche Welt ist, spirituell erlebt, die „Christ-all-welt“ des Selbst, in der das Ich stirbt und als atmisches Wesen, als Christuswesen wiedergeboren wird.
Hier erfährt der Mensch, dass der Ursprung von Wärme nicht von Motoren, Maschinen und Kraftwerken herrührt, sondern allein vom heiligen Feuer (Agni) des ewigen atmischen Lebe- und Liebewesens, das als unbewegter Beweger (Brahman) in Stille in uns ruht. All jene Wesen, die trotz erschwerter kali-yugischer Lebensbedingungen die Flamme dieses Feuers am Brennen erhalten, dürfen von aufrichtigem Stolz erfüllt sein. Mögen alle, die sich gerufen fühlen, aus der Wärme dieses Feuers eine neue, weisere Welt schöpfen, in der die heilige Stille das kostbarste Gut ist.