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Hoffnung: Nahrung aus Pandoras Büchse

Ein „ein-punktiger“, in der Gegenwart verankerter Geist gehört zu den höchsten Qualitäten, die der meditationsgeführte Yoga hervorbringen kann. Gedanken- bzw. Gemütsbewegungen (Vrtti), die ständig um die Zukunft oder die Vergangenheit kreisen, vermag er als unwirklich zu erkennen. Ein solcher Geist hat die Zerstreuungen und Bewegungen des Zeitlichen transzendiert und seinen heiligen Frieden in der Stille des Nicht-Zeitlichen gefunden. Er hat sich sozusagen vom ständig „springenden Punkt“ wieder zurück auf den Punkt gebracht. Diese „Punktlandung“ birgt eine enorme Heilkraft in sich. Sie vermag den Menschen von den Konflikten, Übeln und Plagen zu erlösen, die einst aus der Büchse der Pandora entwichen sind und ihn seither schmerzvoll heimsuchen.

Über die Pandora erzählt uns der Mythos, dass sie nach außen hin wunderschön, liebreizend, süß und voller verzehrender Sehnsüchte ist. Sie erscheint als Urbild des Weiblichen und der ganz und gar weiblichen Schöpfung. Ja, sie ist die Schöpfung selbst. Sie trägt eine geheimnisvolle Büchse bei sich, die es in sich hat. Denn in der Büchse befinden sich alle Übel, Plagen, Krankheiten und Schrecken der dualistischen Welt. Aus Neugierde und auf Zeus Anordnung hin, öffnet sie die Büchse in Anwesenheit des Epimetheus, der der Bruder des Prometheus ist. So kamen die konflikttragenden, leidvollen Kräfte in die Welt. Nur die Hoffnung, die letzte der Kräfte im unzerstörbaren Gefäß, entweicht nicht, da Pandora schnell wieder den Deckel verschließt. Seitdem ist unklar, ob die Hoffnung auch zu den Übeln gehört, oder ob sie, weil sie allein im Gefäß zurückblieb, sozusagen der letzte Strohhalm ist, der dem Menschen geblieben ist in einer Welt, die tendenziell aus Leiden und Konflikten besteht.

Hoffnung ist eine geheimnisumwobene Kraft, die der Dualität angehört. Sie richtet ihren Projektionsstrahl in die Zukunft und vergisst darüber gerne die Gegenwart. So wundert es nicht, dass Prometheus, dessen Namen „der Vorausschauende“ bedeutet, im Pandora-Mythos eine maßgebliche Rolle spielt (Genaueres ist dem Mythos zu entnehmen). Hoffnung ist die Basis für unerfüllte Wünsche und Unzufriedenheit, aber auch für Visionen. Es ist eine die Zukunft erschaffende Kraft, die sich mit der Gegenwart in einem Mangelkonflikt befindet, und ständig nach etwas strebt, das sie nicht hat.

In Goethes Faust spricht Gott-Vater im „Prolog im Himmel“: „Es irrt der Mensch solang er strebt.“ Diese Weisheit erinnert uns an die täuschende Kraft, die im Streben liegt. Das Strebertum gehört zur Welt des Werdens (Maya) und ist damit eine das heilige „Sein“ verhüllende Kraft.

Unsere Pandora-Welt befindet sich in keinem guten Zustand. Pandoras Plagen haben sich wie Plaque über die Seelen zahlreicher Menschen gelegt, ihre Wahrnehmung vernebelt und ihre Handlungen irregeleitet. Die Kompassnadel des Herzens spielt bei vielen Menschen verrückt. Untergangsszenarien tauchen am Horizont der Angst auf. Da ist es nur verständlich, dass die Hoffnung in Pandoras Büchse wieder Hochkonjunktur erfährt. In schweren Zeiten der Not dient dem Verstandes-Ich der Haltegriff der Hoffnung als willkommenes Projektionsmittel.

Dies äußert sich z.B. in technokratisch-materialistischen Geisteshaltungen dahingehend, dass man auf einen „Great Reset“ hofft, um danach zu den wenigen Auserwählten gehören zu dürfen, die rechtzeitig ihre Pfründe gesichert haben und üppig mit wirtschaftlicher und politischer Macht ausgestattet sind. In spirituell-esoterischen Kreisen hingegen, hofft man auf den Aufstieg in eine höhere Dimension, den Sprung, das goldene Zeitalter, einen Erlöser etc. Da es keinen Neuanfang ohne vorherigen Untergang gibt, hofft jeder, vom Jüngsten Gericht nicht verschlungen zu werden, sondern sich zu den wenigen Auserwählten zählen zu dürfen, die errettet werden.

Dabei ist das „Jüngste Gericht“, ohne missverständliche Überlagerungen, in Wirklichkeit lediglich eine einfache Speise, ein zutiefst lecker zubereitetes „Gericht“, das den Geschmack von Sat-Chit-Ananda (Sein, Bewusstsein, Wonne) hat. Genau genommen und im buddhischen Geiste „einpunktig“ betrachtet, ist es die einzig wirkliche Speise, die es überhaupt gibt. Nur sie führt den Menschen zu wirklicher „Sat-heit“ (Sat = wahrhaftiges Sein). Im Gegensatz dazu erscheint „Pandoras Büchsennahrung“ der Hoffnung wie Junkfood, das nie zu einer wirklichen Sättigung führt.

Zur Tafel, an der diese gesegnete Mahlzeit eingenommen wird, haben das ich-gefärbte Denken und Pandoras Hoffnung keinen Zugang mehr. Deshalb stirbt an der Pforte dahin das Denken mitsamt seiner Hoffnung zuletzt. Dies mag wohl der Grund dafür sein, warum das Jüngste Gericht so sehr in Verruf geraten ist. Doch in der Gegenwart des heiligen „Mahls“, das die „Ver-mähl-ung“ mit dem Atman, dem höheren Selbst, dem Prinzip der Liebe ist, ergießt sich aus Bindu – dem einen Punkt – Amrta, der Nektar der Unsterblichkeit. Dieser ist als jüngstes Gericht, als Götterspeise, frischer als frisch und jünger als jung. Die endlose, bangende und vergebliche Warterei, das stille Hoffen und Sehnen aus der Büchse des Denkens (Manas), haben hier ein Ende gefunden. Nun hat das Wesen einen inneren Zustand enthüllt, der ihm im Grunde genommen wohl bekannt ist. Und der in der heiligen Überlieferung geheimnisvoll als das von Plagen freie „Goldene Zeitalter“ (Satya-Yuga) beschrieben wird.

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